Bist du ein Sündenbock im Job?

Datum
18.08.2023
Autor*in
Ralf Lanwehr
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Wird Andersartigkeit belohnt oder bestraft? Wie entstehen Managementmoden? Und wie zur Hölle (um mal beim Teufel zu bleiben) soll man das messen können? Fragen über Fragen. Hier kommen Antworten!

 

„Scapegoating“ für Noobs

Es gibt viel Forschung dazu, wie und warum Andersartigkeit in allen möglichen Kontexten, darunter die Wirtschaft, hart bestraft wird. Der Mechanismus, den ich am faszinierendsten daran finde, nennt sich im Englischen „scapegoating“. Zu Deutsch: „sündenbocken“. Das bedeutet inhaltlich, dass bei Fehlern „die Schuld“ auf eine einzelne Person gekippt wird – als entlastende Funktion quasi, damit der Zusammenhalt der Gruppe bestehen bleibt.

„Neun von zehn Menschen finden Mobbing unproblematisch“ – ihr kennt den Witz vielleicht. Und die Zuweisung dieser Schuld folgt dem Muster, dass für die Gruppe typische Menschen eher durch externe Erklärungen in Schutz genommen werden und für die Gruppe untypische Menschen eher den schwarzen Peter bekommen.

Die moderne Psychologie nennt das eine „externale [internale] Attribution bei [nicht vorhandener] Prototypikalität“. Das klingt jetzt total abstrakt, hat aber sehr konkrete Auswirkungen. Frauen in Führungspositionen sind beispielsweise noch nicht die Regel. Entsprechend werden diesen Frauen systematisch mehr Fehler persönlich angekreidet, wo bei Männern ungünstige Umstände oder schlicht Pech wahrgenommen werden.

 

Kunst kommt von Können

In der Kunst herrschen offensichtlich ganz ähnliche Verhältnisse. Und noch mehr. In einer megacoolen Studie hat ein amerikanisches Team 153 Künstler:innen aus der besonders wichtigen Zeit von 1905 bis 1916 analysiert. Damals flossen diverse Epochen ineinander: Post-Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil, Expressionismus, Kubismus, Dadaismus, Futurismus. Wow. Eine perfekte Zeit, um Konformität oder Abweichung in dreierlei Hinsicht zu demonstrieren: von seinem früheren Selbst, von früheren Mitstreiter:innen und von aktuellen Strömungen. Das Subjekt der Analysen waren die entstandenen Bilder. Mittels KI wurden Muster identifiziert, welche Übereinstimmung oder eben Abweichung von zentralen Referenzpunkten quantifizieren können.

 

Was kommt denn nun raus?

Was zeigt sich? Na ja, die Antworten auf die obigen drei Fragen.

  1. Der Teufel macht durchaus auf den größten Haufen. Abweichung wird nämlich vor allem dann belohnt, wenn man schon sehr weit oben angekommen ist. Wer bereits über ein besonders hohes Renommée verfügt, genießt größere Autonomie bei neuen Ideen bzw. bei Abweichungen von der Norm.
  2. Andersartigkeit wird manchmal belohnt und manchmal bestraft. Wer besonders berühmt oder besonders unbekannt ist: Da lebt sich’s völlig ungeniert. Künstler:innen mit mittlerem Renommée werden hingegen für Abweichungen von der Norm stärker abgestraft. Wir kennen das ja von Social Media. Manchmal wundert man sich, wie so unfassbar viele Leute die immer gleichen Thesen in die Luft werfen – unabhängig vom Wahrheitsgehalt: Kultur ist total wichtig. Gen Z braucht auf einmal ganz andere Dinge. In der Führung ist dieses oder jenes unerlässlich fürs Super Positive Holistic Future Mindset of the Universe.
  3. So erklärt sich dann auch das Entstehen von Managementmoden. Na ja, zumindest von Kunstepochen. Aber wenn ihr mir dieses doch recht elastische Übertragen erlaubt: Was die Studie „demand-side artist-to-gallerist networks“ nennt, sind für viele Solo-Selbstständige hier halt Aufträge aus der Wirtschaft. Die gibt’s nur für die Stars und die Nonames für Abweichungen. Der Rest muss eher mit dem Strom schwimmen, und irgendwann ergibt das dann den neuen Chor der Managementmoden. Es ist abgefahren, was da so entsteht. Regelmäßig werden neue Säue durchs Dorf getrieben und geschlachtet. Die unten stehende Grafik von Rob Briner dazu find ich ebenso witzig wie passend.

Rob Briner

Wie gesagt: Bisschen weit hergeholt vielleicht. Aber die Methoden in Kombination mit der Botschaft fand ich wirklich sehr lustig und erhellend. Oder was meint ihr? Managementquark oder taugt’s euch?

 

Literatur

Banerjee, M., Cole, B. M., & Ingram, P. (2023). “Distinctive from What? And for Whom?” Deep Learning-Based Product Distinctiveness, Social Structure, and Third-Party Certifications. Academy of Management Journal, 66(4), 1016-1041. https://journals.aom.org/doi/abs/10.5465/amj.2021.0175

 
Bildquelle: https://unsplash.com/de/fotos/braune-und-weisse-hirsche-auf-braunem-grasfeld-tagsuber-FGYgDfL6Vxg