Virtuelle Teams sind weniger innovativ?!

Datum
04.12.2023
Autor*in
Ralf Lanwehr
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Gerade ist in Nature ein total spannender Artikel erschienen. Anhand einer gewaltigen Stichprobe von 20 Millionen Artikel und 4 Millionen Patenten zeichnen die Autor:innen nach, dass persönlicher Austausch einen messbaren Einfluss auf besonders gravierende ("disruptive") Innovationen hat.

Mit anderen Worten: bei persönlicher Interaktion kommt bei disruptiven Innovationen, also wo es wirklich zählt, mehr heraus. Das liegt wohl vor allem am Format. Remote findet die Entwicklung von Ideen mehr hopplahopp statt. Die Leute sind halt viel "fokussierter" und weniger bereit für Ehrenrunden und Hinterfragen. Es ist remote außerdem schwieriger, einfach "mal eben" Leute zu integrieren.

Das hat gewaltige Konsequenzen und Implikationen für jede Organisation und Personalabteilung, z.B. bezüglich Regelungen rund ums (Home) Office, virtuelle Kollaborationen, Reisebudgets, Nachhaltigkeitsindikatoren. Hier der Artikel. Das ist total spannend für uns in der Bubble. Aber so einfach ist das alles nicht. Leider. Damit auch weniger forschungsaffine Menschen die Resultate einordnen können, hier drei Anmerkungen dazu:

  • Es wird ja viel geschrieben. Der Wirbel ist in diesem Fall so groß, weil "Nature" neben "Science" das weltweit bedeutendste Organ für die Publikation wissenschaftlicher Erkenntnisse hat. Um dort veröffentlicht zu werden, muss man wirklich sehr aufwändige Prüfprozesse (sogenannte Peer Reviews) durchlaufen. Je angesehener eine Zeitschrift, desto besser und intensiver die Reviews. Was in Nature steht, hat entsprechend große Wirkung und Relevanz.
  • Ungewöhnlich an einem Artikel dieses Kalibers ist, dass die verwendeten Messmthoden umstritten sind. Sowohl das Maß für Disruptionen ("D-Score") als auch die Definition von Remote Teams in Zeiten von Zoom und co. sind wackelig.
  • Die Effekte sind messbar, aber recht klein und zudem "korrelativ". Kleine Effekte sind erst mal nicht schlimm. Selbst wenn eine disruptive Innovation nur ein paar Prozentpunkte wahrscheinlicher wird, ist das ne Menge. "Korrelativ" ist schon eher ein Problem. Man weiß nicht genau, wie die Effekte zustandekommen. Ob sich die beobachteten Unterschiede bei der Innovativität also wirklich kausal zurückführen lassen auf die Virtualität des Teams, muss durch andere Methoden belegt werden. Es gibt gute Gründe für alternative Wirkmechanismen (mehr Details führen an dieser Stelle zu weit, gerne mehr später).

Was sollten Unternehmen nun daraus machen?

Naja. Es verdichten sich die Hinweise, dass persönlicher Kontakt für innovative Themen eine gute Idee ist. Von komplettem Home Office ist bei kollaborativen Aufgaben mit Blick auf harte Ergebnisse (Produktivität und Innovativität) eher abzuraten. Parallel ist der Verzicht auf Pendelei natürlich dem Seelenheil der Belegschaft in verschiedener Weise zuträglich - ebenso wie der Nachhaltigkeit. Komplexe Gesamtgemengelage.

Insgesamt sehe ich die Wirtschaft aktuell in diesen Fragen auf einem guten Weg. Während der Pandemie gabs den kompletten Schwenk in Richtung virtueller Arbeit. Das war notwendig, wird aber nun den neuen Begebenheiten angepasst. Das Ausmaß dieses umgekehrten Pendelschlags sollte dabei vernünftig austariert werden. Wer dabei transparent vorgeht, klare Prinzipien erarbeitet und die Betroffenen einbezieht, wird das hinbekommen. Befehle von oben sind hingegen wie üblich ne bescheidene Idee.

Aufmerksam geworden auf das Thema bin ich übrigens durch einen ausgezeichneten Newsletter von DIE ZEIT namens ZEIT Wissen³ (für Menschen in der Forschung spannend, für den Rest vermutlich eher nicht).

 

Literatur

Lin, Y., Frey, C.B. & Wu, L. Remote collaboration fuses fewer breakthrough ideas. Nature 623, 987–991 (2023). https://doi.org/10.1038/s41586-023-06767-1

 

Bildquelle: https://unsplash.com/de/fotos/person-im-blauen-langarmshirt-mit-schwarzem-surface-HJgaV1qjHS0?utm_content=creditCopyText&utm_medium=referral&utm_source=unsplash