Donald Trump versprüht seine Botschaften. Als Folge laufen willfährige Menschen herum, die ihm offenkundig glauben, sich von Fakten nicht beeindrucken lassen und zur Not zu Gewalt greifen. Wie geht das? Wie kann es sein, dass normale Menschen auf einmal den Verstand ausschalten? Und wie kann sich eine konservative Partei derartig radikalisieren?
Das sind Fragen, die man sich beim Blick in die USA zwangsläufig stellen. Wir beobachten die Entwicklungen, machen uns Sorgen und ringen um Verstehen. Früher hätten wir in der Tat vor einem Rätsel gestanden. Dank neuer Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung lässt sich das Phänomen heute jedoch anhand von drei Punkten präzise beschreiben und erklären.
Trump tritt erstens unheimlich charismatisch auf, aber in Deutschland erreicht er die Menschen damit nicht. Zweitens sorgt Charisma unter bestimmten Umständen dafür, dass Menschen das eigene Denken aufgeben und sich ethisch fragwürdig verhalten. Drittens nimmt Trumps Vision den Amis ausgesprochen geschickt die Angst vor dem Wandel. Wie geht das? Lasst uns das im Detail aufdröseln.
Vorher gibts hier ganz kurz die wissenschaftlichen Fakten zu Charisma. Charisma besteht aus wertebezogenen, emotionalen und/oder symbolischen Signalen. Charisma ist ein entscheidender Faktor für Erfolg in der Führung und lässt sich objektiv messen. Charisma ist zum Teil angeboren, zu einem bedeutenden Teil aber auch erlernbar. Wer erfolgreich führen möchte, sollte sich über Charisma definitiv Gedanken machen. Das passiert viel zu wenig – gerade in der Wirtschaft. Komisch.
Charisma wirkt über drei Komponenten. Das wusste bereits Aristoteles und nannte dieses Dreieck damals Logos (Metaphern, rhetorische Fragen, Kontraste, Geschichten und Listen), Ethos (Werte, Empathie, Ziele und Zuversicht) und Pathos (Stimme, Ausdruck, unkonventionelles Verhalten und Humor).
Charisma ist zwar enorm wirkmächtig, aus einer ethisch-moralischen Perspektive jedoch komplett neutral. Die größten Lichtgestalten der Menschheitsgeschichte sind nicht zufällig ebenso höchst charismatisch wie die grausamsten Tyrannen – dafür reicht ein kurzer Blick in die deutsche Geschichte.
Intelligenz hilft, aber man muss keineswegs besonders extrovertiert sein für hohes Charisma, siehe etwa Mahatma Gandhi, beide Obamas oder Greta Thunberg. Narzissmus korreliert mit Charisma, weshalb man Charisma z.B. bei der Personalauswahl unbedingt erheben sollte – aber Narzissmus halt zur Kontrolle eben auch. Einen Mahatma Gandhi möchte man als Führungskraft gerne im Team haben, einen Donald Trump jedoch eher weniger. Literatur findet Ihr unten.
Dass Trump ein besonders ausgeprägtes Charisma hat: offenkundig. So spricht er beispielsweise extrem in Bildern und Geschichten. Dabei verzichtet er weitgehend auf inhaltliche Kohärenz, aber selbst dafür findet er noch eine Metapher: „the weave“ zu deutsch „das Webgeflecht“. Er redet also unzusammenhängendes Zeugs daher und schafft es, selbst das als einzigartige Kompetenz zu überhöhen. Die Redewendung „aus scheiße Gold machen“ liegt da durchaus nahe.
Übrigens mag Trump zwar explizit wissenschaftsfeindlich auftreten, aber er agiert selbst wie ein kleiner Wissenschaftler und testet Hypothesen systematisch. Zunächst probiert er neue Slogans aus, dann testet er die Reaktionen seines Publikums darauf und begräbt im Anschluss nicht funktionierende Punchlines. Nehmt zum Beispiel seine vermeintliche Beleidigung der „laughing Kamala“. Natürlich sind diese negativen Spitznamen eine weitere Charismataktik. Aber die „laughing Kamala“ hat er eine zeitlang ausprobiert, die Beleidigung kam nicht wie gewünscht an und verschwand in der Folge schnell wieder in der Versenkung.
Naja. Eine Analyse von Trumps Charismataktiken wäre ein eigener Artikel. Darum soll es hier nur am Rande gehen. Wenn Ihr da Bock drauf habt, schreibts gerne in die Kommentare. Vermutlich können wir uns aber so oder so auf Folgendes einigen: Trump ist irgendwie total charismatisch, aber das kommt in Deutschland nicht an. Komisch oder?
Die Begründung dafür liegt in einem einzigen Wort: „Wertekongruenz“. Darauf bin ich ein bisschen stolz, denn das haben höchst geschätzte Menschen aus unserem Lab bzw. sehr nah dran (Rafael Wilms , Nicolas Bastardoz , Clara Seif el Dahan) nachgewiesen und Anfang Oktober in Leadership Quarterly publiziert.
Eine kurze ganz persönliche Note: liebe Clara, herzlichen Glückwunsch von ganzem Herzen. Als FH neigen wir wissenschaftlich viel stärker zur Praxistauglichkeit als zur methodischen Strenge. Am liebsten haben wir natürlich beides, aber das gelingt selten. Du hast das geschafft und das ist ein überragender Erfolg. Ich bin wahnsinnig stolz auf Dich. Übrigens ist das auch ein schöner Erfolg für das Promotionskolleg NRW, unter dessen Dach Deine Betreuung läuft.
Zurück zur Wertekongruenz: charismatische Signale entfalten ihre Wirkung vor allem dann, wenn es eine gemeinsame Basis gibt. Insbesondere in polarisierten Themenfeldern verpufft Charisma bei stark auseinanderklaffenden Wertesystemen. Das ist bei Trump der Fall. Sein Charisma wirkt in Deutschland nicht, weil er US-typisch konnotierte Ideale propagiert:
Das ist uns in Deutschland doch alles relativ fremd – aber der Wind dreht sich. Die AFD gewinnt in Ostdeutschland und wird überall stärker, Schweden, Niederlande, Ungarn etc. sind bereits heute auf demselben Kurs. Insofern ist die Inkongruenz der Werte in Deutschland vermutlich mit einem „noch“ zu versehen.
Aber halt! Da fehlt doch was. Wie sieht es denn mit der Bigotterie von Trump aus? Liegt da nicht ein Widerspruch nahe? Wie kann denn der Trump ernsthaft sowas wie Religion überhaupt ansprechen und die Evangelikalen für sich einnehmen, wenn er ganz offensichtlich Wasser predigt und selbst Wein säuft? Das Bisherige erklärt alles noch nicht, dass die Menschen seinen Lügen glauben! Und was hat das damit zu tun, dass vormals staatstreue Menschen plötzlich zu Geiferern werden, die das Kapitol angreifen? Stimmt alles. Auf geht es zu Punkt 2.
Charisma funktioniert also super – aber unabhängig vom ethisch-moralischen Gehalt. Okay. Aber warum nehmen die Leute die ganzen Lügen hin, warum ignorieren sie so passiv die Fakten und woher kommt die krasse Aggressivität?
Donald Trumps Charisma ist wie ein Popkonzert im Stadion: Laut, mitreißend und voller begeisterter Fans, die jedes Wort inhalieren. Bei aller Begeisterung bleiben dabei einige sehr wichtige Dinge auf der Strecke.
So sind die Fans schnell so beeindruckt, dass ihre kritischen Einwände auf stumm geschaltet werden. Während das Anheizen von Trumps Ideen gepusht wird, sieht es mit Kritik zunehmend düster aus. Niemand möchte Buhmann sein und den Flow des großen Meisters stören – schon gar nicht, wenn Trump die Show so spektakulär inszeniert. Dieser Effekt wurde sogar international nachgewiesen, einmal in Asien und einmal von Heike Bruch aus Sankt Gallen mit europäischen Daten. So entsteht Schweigen. Aber Schweigen ist das eine – aktive Lügen noch mal ne andere Nummer. Wie geht das vonstatten?
Zwei negative Effekte bedingen sich dabei gegenseitig: die Legitimation von unethischem Verhalten und eine Zunahme von Zynismus.
Wie entsteht die Legitimation von unethischem Verhalten? Da ist Donald Trump mit seiner typischen Gestik – die Hände weit, die Stimme laut, die Worte scharf. Die Leute hängen an seinen Lippen. Dabei verrutscht der moralische Kompass ausgesprochen leicht. Trumps charismatisches Auftreten erzeugt eine so starke Identifikation, dass die Sache plötzlich „größer als man selbst“ wird. Aus „ich hinterfrage das mal“ wird ein „alles für das Team“ – und damit werden auf einmal fragwürdige Aktionen salonfähig.
Das Spannende: Es muss nicht mal Absicht sein! Trump präsentiert seine Visionen, die Augen funkeln, die Energie im Raum steigt – und ehe man sich versieht, denkt man auch mal um die Ecke, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Mal hier eine Wahrheit beugen, mal dort ein Auge zudrücken – für „das große Ganze“, versteht sich. Die moralischen Schranken bröckeln, wenn durch pure Begeisterung der Zweck die Mittel heiligt. Der Gedanke, mal eine Information zu „verdrehen“ oder einen Vertrag etwas kreativ auszulegen, wird plötzlich zum Akt des Heldentums. Unethische Handlungen werden zum Loyalitätsbeweis, solange es „dem großen Ziel“ dient. Trump spricht von „Gewinnen um jeden Preis“, und die Fans lassen dafür sonst übliche ethische Regeln außen vor. Diesen Prozess hat ein Bochumer Dreigestirn (inklusive meines heutigen, höchst geschätzten Kollegen Jochen Overbeck-Gurt) nicht nur theoretisch beschrieben, sondern empirisch nachgezeichnet.
Leider befeuert sich dieser Prozess auch noch wechselseitig mit einer anderen ungünstigen Entwicklung: zunehmendem Zynismus. Im Falle von Donald Trump ist das nicht schwierig zu verstehen. Trumps charismatisches Wirken dient alleinig egoistischen Interessen und keineswegs den kollektiven, werteorientierten und idealistischen Zielen, die von der Kanzel gepredigt werden. Das merken die Leute. Wasser predigen und Wein saufen auf die offensichtlichste aller Arten.
Dadurch entsteht ein Zynismus, der auf Frustration und Desillusionierung beruht. Das Wertefundament beginnt auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu bröckeln. Dadurch werden auf einmal Dinge sagbar und machbar, die es vorher eben nicht waren. Das geht einher mit dem obigen Credo des „Gewinnen um jeden Preis“ und erzeugt seinerseits wiederum neuen Zynismus. Mein leider viel zu früh verstorbener Doktorvater Diether Gebert hat genau diesen Mechanismus sehr präzise (und übrigens u.a. zusammen mit der phantastischen Claudia Buengeler) beschrieben. Das Ding ist damals quasi zeitgleich mit dem Start von Trumps erster Präsidentschaft veröffentlicht worden. Krasse Koinzidenz.
Aber so entstehen psychologisch die Phänomene, die wir beobachten. Menschen schweigen bei Grenzüberschreitungen, sie feiern offensichtlich unethisches Verhalten ab und beteiligen sich sogar irgendwann selbst daran.
Veränderungen erzeugen Ängste. Immer. Unabhängig von Inhalten. Und häufig auch irrational. Menschen reagieren selbst dann mit Widerstand, wenn die Notwendigkeit der Veränderung erkannt wird, wenn die Ziele mit den eigenen Interessen übereinstimmen und wenn eigentlich Wohlwollen gegenüber den Handelnden herrscht. Klingt crazy, aber so isses. Wer mal ne Veränderung umzusetzen versucht hat, weiß das.
Was tun? Naja, eine Vision, also ein Bild der Zukunft für die jeweilige Gemeinschaft, hilft nachweislich schon mal. Damit wird nämlich klar, wo es eigentlich hingehen soll und was daran cool ist. Oft sind solche Visionen aber viel zu verkopft und zahlengetrieben, um die Menschen zu erreichen. Dieser Fehler ist so verbreitet, dass er sogar einen wissenschaftlichen Namen hat: der „blurry vision bias“. Was kann man dagegen tun? Von Trump lernen. Eine zu progressive Vision der Zukunft wirkt einschüchternd. Sie bedroht vor allem die soziale Identität, also das Selbstkonzept von Menschen. Neue Dinge mag man nicht, weil sie als Bedrohung für die Vorstellung vom eigenen Ich aufgefasst werden.
Doch es gibt dafür ein Gegenmittel, das den Menschen das Gefühl von Bedrohung nimmt. Anstatt nämlich die progressiven Zukunftsvisionen in blühenden Farben zu malen und dadurch unwissentlich Ängste auszulösen, macht Trump das ganz anders – und mit ihm weltweit die Populisten. Das Geheimrezept ist der Vergangenheitsbezug. Eine Vision der Zukunft erzeugt nämlich dann weniger Angst, wenn sie aus der Vergangenheit heraus begründbar und konsistent erscheint. Eine gute Vision der Zukunft ist eine Vision der vergangenheitsbezogenen Kontinuität. Das wurde in einer bahnbrechenden Arbeit eines holländischen Teams nicht nur sauber aufgeschrieben, sondern sowohl in einer Feldstudie als auch in einem Laborexperiment empirisch nachgewiesen.
Was hat das jetzt mit Trump und den Populisten zu tun? Naja, deren Visionen sind so attraktiv, weil sie allesamt einen starken Vergangenheitsbezug haben. Dadurch entsteht ein Gefühl von Konsistenz, Richtung und Kontinuität. Das finden Menschen gut.
„Make America great AGAIN!“ macht klar, dass die Zukunftsvision von Trump im Kern die Fortschreibung einer glorifizierten Vergangenheit sein soll. In Großbritannien war das beim Brexit nicht anders. „Taking BACK Control!“ ist eine Rückbesinnung. Das wirkt. Kontinuität durch eine Fortschreibung der Geschichte. Und hat sich mal jemand gefragt, weshalb Putin dauernd so beknackte Parallelen zum zaristischen Russland herstellt? Genau.
Die große Soziologin Arlie Hochschild ist eine Meisterin der sogenannten teilnehmenden Beobachtung. Sie hat – untypischer Weise für eine Soziologin – ein besonderes Interesse an Emotionen, beschrieb zuerst anhand einer Studie von Stewardessen die Prinzipien von emotionaler Arbeit und ist gleich zwei mal für jeweils ein Jahr ins Trump Country gezogen, um die Menschen dort zu verstehen. Daraus sind zwei großartige Bücher entstanden. Wer sich diesen Artikel durchliest, versteht wunderbar, wie man Trump ernsthaft „our good mobber“ nennen und damit heftiges unethisches Verhalten vor sich selbst rechtfertigen kann.
Charisma ist wahnsinnig wirkungsvoll, aber ethisch-moralisch neutral. Trump nutzt das aus und macht sich dabei – wissentlich oder unwissentlich – die drei beschriebenen Effekte zu nutze.
Wie siehts aus? Seid Ihr an Bord oder gibt’s Widerspruch?
Bildquelle: https://unsplash.com/de/fotos/mann-mit-horn-wandmalerei-SeojLVHZ7QY