Data Literacy statt Drama: Datenkompetenz in HR

Datum
15.12.2024
Autor*in
Prof. Dr. Ralf Lanwehr
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Warum gibt’s zum Thema Home Office eigentlich so viel Verwirrung? Was ist Data Literacy? Warum sollten wir Erkenntnissen von Beratungsfirmen misstrauen? Und was hat all das miteinander zu tun? 📊

Letzte Woche tauchten auf LinkedIn wieder einmal spektakuläre Daten zu Home Office auf. Gallup berichtete, dass sich der Arbeitsort heftig auf das Zugehörigkeitsgefühl der Mitarbeiter auswirke. Dazu gab es eine hübsch aufbereitete Grafik.

Abbildung: Grafik von GALLUP zu den Auswirkungen von Home Office

 

Hübsche Grafik, doch was ist dran?

Nix! Der Blick auf die Grafik suggeriert zwar einen klaren Effekt. Stimmt. Doch locker fünf Punkte machen die breitbeinig verkündeten Aussagen mindestens wackelig, eigentlich aber komplett unglaubwürdig. Und da das stellvertretend für ein systematisches Problem im HR steht, probiere ich mal ein Aufdröseln der einzelnen Punkte.

1️⃣ Verzerren von Daten

Die Grafik beschreibt Prozentwerte, zeigt aber nur einen extrem kleinen Ausschnitt (25–45%). Unterschiede erscheinen dadurch erheblich größer als sie tatsächlich sind. Das steht als Tipp zu Beginn jedes Ratgebers über "Lügen mit Statistik". Hm.

2️⃣ Selektive Präsentation

Es wurde nur ein einziger Skalenpunkt („strongly agree“) einer größeren Skala analysiert. Wo ist der Rest? Warum keine Mittelwerte und Standardabweichungen? Naja. Solche Tricks werden gerne angewandt, wenn eine gewünschte Botschaft, die eigentlich nicht drin ist, aus den Daten „herausgeknetet“ werden soll. Gallup wird halt bei Drama gebucht.

3️⃣ 1-Item-Messung

Ausgewertet wird eine einzige Frage. Bei hypothetischen Konstrukten wie "Zugehörigkeit" ist das verpönt, da es zu Fehlinterpretationen führt (mangelnde "Reliabilität").

4️⃣ Schlechte Fragestellung

Die Frage startet mit „The Mission or purpose of my company“. Das ist doppeldeutig („double-barrelled“). Worauf genau bezieht sich die Antwort? Auf Mission oder Purpose oder beides? Die Antwort kann nicht sinnvoll interpretiert werden. Klassischer Anfängerfehler eigentlich.

5️⃣ Korrelation ≠ Kausalität

Die präsentierten Ergebnisse stellen eine Korrelation als Kausalität dar. Dabei gibt es zahlreiche andere plausible Erklärungen. An diesem Beispiel: 2020 war Pandemie. Viele Firmen mussten schmerzhafte Einschnitte vornehmen. Das wird sicher zu einem geringeren Mitarbeiterengagement geführt haben - völlig unabhängig vom Arbeitsort. Die Pandemie ist also ursächlich zugleich für mehr Home Office UND reduziertes Zugehörigkeitsgefühl. Insofern bewundern wir hier eine klassische Scheinkorrelation 💭

 

Fazit: Data Literacy!

Wir müssen aufpassen, dass wir Daten mit mehr Skepsis begegnen. Nicht einfach posten oder so. Diesen Quark von Gallup hatte ich locker 10x unkritisch in der Timeline.

Wir brauchen Kompetenz im Umgang mit Daten, neudeutsch "Data Literacy". Dass Beratungsfirmen mit derlei Botschaften ihre Services verkaufen wollen? Legitim. Marketing halt. Doch wir sollten bei der Interpretation kritischer sein, genauer hinschauen und konsequenter hinterfragen.

Eure Meinung? Seht ihr das auch als Entwicklungsfeld fürs HR? 👥

 

Bildquelle: https://www.pexels.com/de-de/foto/code-uber-frau-projiziert-3861969/